DIE LINKE – Bundestagswahl 2021 Wahlprogrammanalyse Teil 2

In Teil 1 ging es um eine grobe quantitative Analyse. Teil 2 beschäftigt sich mit der Einleitung und dem Kurzprogramm.

FAZIT

Einleitung und Kurzwahlprogramm setzen die Schwerpunkte des Wahlkampfs und die Grenzen von eventuellen Koalitionsverhandlungen. Beide stehen in grundsätzlicher Tradition des Wahlprogramms von 2017, allerdings völlig auf das Mitregieren ausgerichtet. Damit werden erhebliche Erwartungen geweckt, die zu erfüllen schwer fallen dürfte. Gleichzeitig gibt die Kontinuität Sicherheit für Wahlkämpfende und Wählende.

Schwerpunkt ist Sozialpolitik und hier besonders die Thematik Einkommen. Die einzelnen Punkte sind durchaus konkret und sprechen nominell sicher etliche Menschen an. Nicht angesprochen dürften sich die oberen 20% der Bevölkerung fühlen. Auch Menschen, denen Heimat und Familie wichtig sind, dürften etwas vermissen. Gleiches gilt für jene, die Freiheit für einen Wert an sich halten und Privateigentum nicht angetastet sehen wollen.

Wählerabschreckende Reizwörter werden weitgehend ausgeklammert. Ob das so bleibt, wird man sehen. Fast alle dargestellten Punkte sind Verhandlungsmasse für eventuelle Koalitionsverhandlungen, mindestens in der Ausgestaltung, aber bei vielen Punkten auch ganz generell. Als in der Umsetzung für die angestrebte Legislatur komplett unverhandelbar ist ausschließlich der Punkt Sozialwohnungsbau einzuschätzen.

Konkrete Daten zur angestrebten Umsetzung werden nur in Bezug auf Kohleausstieg, erneuerbare Stromerzeugung und CO2-freie Energieversorgung genannt. Diese sind durchaus ambitioniert.

Ökologiekompetenz wird ansonsten nicht dargestellt, aber durch Stichwortgebung erwartet. Im Wettbewerb zu den Grünen besteht hier dringender Ergänzungs- und Nachholbedarf.

Linker Green New Deal und ökologischer und sozialer Systemwechsel lassen sich schlecht verstehen und vermitteln. Es ist unklar, worin nun genau der Systemwechsel bestehen soll und was konkret daran ökologisch ist. Der Begriff Richtungswechsel passt eher. Wer einen radikalen Systemwechsel erwartet, dürfte bei DIE LINKE in mehrfacher Hinsicht nicht richtig sein. Aber die Realisten, so würde ich die Radikalen nennen, erwarten sich ohnehin nicht allzuviel von DIE LINKE und den anderen im Angebot befindlichen Parteien.

Die Frage der langfristigen Finanzierbarkeit– eine der Hauptangriffsflächen muss noch dargestellt werden. Auch für die Gesundheits- und Rentenversicherungskonzepte. Das wäre eine gute Ergänzung für das (Kurz-)Wahlprogramm und eine ganz wichtige Hilfe für die Wahlkampfunterstützung vor Ort, so wie es auch 2017 schon war . Allerdings fehlte damals die langfristige Darstellung.

Für das Themenfeld Energiewende wären ebenfalls konkrete und knappe Handreichungen erforderlich. Wahlkämpfer:innen dürften im Schnitt extrem überfordert sein mit der Frage, woher denn nun der Strom bei Windflaute und Dunkelheit kommen soll. Und nicht nur die sondern auch Experten.

Problematisch ist die fehlende Einordnung der Ziele in europäische und globale Zusammenhänge und das Aufzeigen der damit einhergehenden Grenzen nationaler Politik.

Es bestehen innere Widersprüche wie Mindestlohn im Verhältnis zum Mindesteinkommen oder große Investitionen wie Wohnungsbau und Ökologie, die unbedingt aufgelöst werden müssen, wenn man sich nicht angreifbar machen will.

DIE EINLEITUNG ZUM WAHLPROGRAMM

Vorab: mit 6 ½ Seiten ist die Einleitung zumindest mir zu lang. Hier müssen ein bis zwei Seiten eigentlich genügen, denn es geht nicht darum, die Inhalte des Programms vorwegzunehmen. Aber das ist Geschmackssache.In der Einleitung werden schon wesentliche Inhalte des Wahlprogramms konzentriert vorweg genommen. Aus meiner Sicht ist das nicht nötig.

Die schwerpunktmäßige Ausrichtung auf soziale Themen ist eindeutig und unverkennbar, so wie es sich für DIE LINKE gehört. Leider ergibt sich daraus, dass die anderen Felder der Politik weniger stark beackert werden. Das führt zu unnötigen Angriffsflächen und strahlt wenig generelle Kompetenz aus.

Beginnend mit dem Satz „Über die Zukunft wird jetzt entschieden.“ fällt man mit der Tür ins Haus. Der Satz ist zwar nur begrenzt richtig und eine Plattitüde, aber er stellt dar, um was es geht, nämlich richtig zu entscheiden. Und das geht eben nur in Regierung.

Die Einleitung des Wahlprogramms zielt auf eine angestrebte Regierungsbeteiligung ab. Das Machen ist  in den Vordergrund gerückt: „Wir treten an, um neue Grundlagen zu schaffen…“.

Die allfällige Regierungskritik wird schwerpunktmäßig auf soziale Punkte im Zusammenhang mit Corona aufgebaut und stellt korrekt fest, dass die „Regierung versagt [hat]“. In der Einleitung findet sich keine Regierungskritik im Hinblick auf andere Politikfelder. Das ist bedauerlich, da die Skandale ja durchaus vorhanden sind. Und die Krisen insbesondere die der „Finanzmärkte“ ja auf der Hand liegen. Der Kollaps des Systems wird sich nicht auf ewig verschieben lassen.

Die Betonung des Wahlziels Mitregierung findet sich deutlich in der Aufforderung an die Wähler: Wenn wir dieses Jahr um Ihre Stimmen bei der Bundestagswahl bitten, dann meinen wir genau das: Es ist Zeit, sich für eine Zukunft für alle zu entscheiden. Jetzt!“ Damit wird Dringlichkeit klar gemacht. Man fühlt sich geradezu erpresst.

Als 2 Haupthandlungsfelder werden Klimaneutralität und die Bewältigung der (sozialen) Folgen von Corona ausgemacht, beides auf nationaler Ebene. Die Konzentration auf Corona ist meines Erachtens ungeschickt, denn auch DIE LINKE trägt die Maßnahmen im Wesentlichen mit, die soziale Verwerfungen verschärfen. Das kann und wird zu Gegenwind bei Wählergesprächjen führen und dürfte auch so schnell nicht in Vergessenheit geraten.

Die Einleitung bemüht sich ein Alleinstellungsmerkmal aufzubauen:  „Nur DIE LINKE kämpft dafür, dass die Superreichen und die großen Konzerne endlich ihren gerechten Anteil zahlen.“

Nicht fehlen darf natürlich die Sache mit dem „ökologischen und sozialen Systemwechsel …“. Der Teil Ökologie fällt in der Einleitung weitgehend unter den Tisch, sieht man vom Schlagwort Klimaneutralität ab. Schon hier zeigt sich, dass DIE LINKE dem selbst gesetzten Anspruch nicht gerecht wird und auch nicht wirklich die Absicht hat, es zu werden. Wer auch einen „ökologischen“ Systemwechsel fordert, sollte aber schon möglichst konkret werden.  Und Ökologie beschränkt sich nicht auf CO2.

Der ausdrückliche Wille zur Regierungsbeteiligung ermöglicht es auch die konkret angegebenen Punkte danach einzuschätzen, was im Falle der Regierung verwirklicht wird und was höchstwahrscheinlich nicht. Künftigen Koalitionspartnern setzt man damit klare Signale. Regelmäßig wird natürlich das Wie nur vage beschrieben und man vermeidet konkrete Daten der Umsetzung.

Sortieren wir also die in der Einleitung aufgeführten Punkte nach 1.) Umsetzung wahrscheinlich, 2.) harte Forderungen (Mussforderung), 3.)kämpferischer  Einsatz (wir streiten) und 4.) Wünsche (wir wollen) ergibt sich folgendes Bild:

  1. Umsetzung wahrscheinlich z.T. versprochen: Ersetzung Fallpauschalen im Gesundheitswesen, solidarische Gesundheitsversicherung, Ersatz Rentenversicherung durch Erwerbstätigenversicherung, Ausbau ÖPNV und Ticketpreissenkung, Kurzstreckenflüge und Frachtverkehr auf die Schiene, Beendigung Auslandseinsätze der Bundeswehr , Vermögensteuer  (wir wollen: 5% ab 1 Millionen Euro), 250.000 Sozialwohnungen Neubau jährlich dauerhaft bezahlbar
  2. Harte, aber verhandelbare Forderungen: Subventionsempfänger staatlicher Gelder langfristige Garantien Beschäftigung und Umweltstandards, Grundgehaltserhöhung Pflege 500,-€, Bodenpreisdeckelung, Rüstungsexporte verbieten bei Kriegsbeteiligung Menschenrechtsmissachtung
  3. Kämpferischer Einsatz (streiten für): einmalige  Vermögensabgabe oberhalb Vermögen von 2 Millionen Euro, 1.200,-€ Mindesteinkommen/ Steuerfreibetrag, 30 Stunden Regelarbeitszeit, Angleichung Ost an West
  4. Wünsche (wollen): 13,-€ Mindestlohn, Trockenlegung Niedriglohnsektor, 53% gesetzliche Rente Rentenversicherung zu Erwerbstätigenversicherung, Garantien für Arbeitsplätze und Einkommen, Investitionsprogramm Gesundheit Pflege Bildung Wohnen  und Breitbandausbau Ergebnis 2 Millionen Arbeitsplätze und Klimaneutralität, Energieversorgung am Gemeinwohl ausrichten und bis 2035 Strom zu 100% aus erneuerbaren Quellen, Investitionen Bildungsinfrastruktur, harte Obergrenzen für Miete Gesamtbundesgebiet, öffentlicher Bodenfond und öffentlichen Besitz an Land- und Forstflächen stärken, inklusive Gesellschaft, gleichberechtigtes Zusammenleben, Fluchtursachen bekämpfen, Verbot Export Kleinwaffen und Rüstungsfabriken, zivile Konfliktlösungen stärken

Im Falle einer Regierungsbeteiligung der LINKEN in einer Grün-Rot-roten Koalition dürften also im Laufe der Legislatur die unter 1.) genannten Punkte begonnen werden. Ich persönlich vermute, dass die 250.000 Sozialwohnungen schon im ersten Jahr angestrebt werden. Die unter Punkt 2.) genannten Punkte bringt man als Verhandlungsmasse mit ein und gibt sich auch mit geringeren Ergebnissen zufrieden. 3.) und 4.) dienen zur Beruhigung  der eigenen Klientel und sind in jedem Fall nicht umsetzungspflichtig. Niemand von den Regierungswilligen in der Partei wird sich daran gebunden fühlen. Kämpfen und Wollen kann man ja immer.

Ob sich das mit den eigenen Erwartungen deckt muss jedes Parteimitglied und jede Wähler:in für sich selbst entscheiden.

Die Einleitung des Wahlprogramms  gibt die deutliche Ansage, dass man willens ist, die CDU aus der Regierung zu vertreiben. Sie zeugt auch von erheblichem Selbstbewusstsein Wir wissen, was wir ändern müssen und wie wir es bezahlen.“  Das lädt geradezu dazu ein, genau diese Punkte zu hinterfragen. Die Schlussätze reduzieren das Programm wieder auf die 2 Hauptpunkte: „Wir arbeiten mit allen, die Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit wollen.“

DAS KURZPROGRAMM / DIE KURZPRÄSENTATION

Im Kurzprogramm werden konkrete Schwerpunkte des Wahlprogramms hervorgehoben. Dadurch werden die entsprechenden Gruppen konkret angesprochen. Wörter wie „wollen“ oder „müssen“ kommen seltener vor, so dass zur Umsetzungswahrscheinlichkeit in Regierung keine Aussagen getroffen werden.

Auch im Kurzprogramm findet sich die klare Bereitschaft, nein der unbedingte Willen mitzuregieren. Die Ansprache in diese Richtung ist zwar weniger aggressiv, aber trotzdem eindeutig. Das wird besonders deutlich, wenn man es mit dem Kurzwahlprogramm von 2017 vergleicht.

Interessant ist die Reihenfolge: Rente, Sozialstaat, Pflegenotstand, Mietendeckel, Bildung und dann erst Arbeit (Löhne, 30 Stundenwoche). Ökologischer Umbau der Wirtschaft, Verkehrswende, Energiewende folgen nach. Ost-West-Gerechtigkeit (Renten, Lohn) ist aufgeführt, wobei weitere Themen dort eingeordnet werden (Genossenschaft, Transformationsräte, Bodenspekulationen). Fiskalpolitische Ansätze werden dann in separater Folie dargestellt. Einwanderungs- und Friedenspolitik stehen am Ende der Präsentation. Es werden also die Alltagsthemen, die, die wirklich zuerst aufgeführt und die großen Themen am Ende.

Auch das Kurzprogramm ist klar national und auf soziale Themen ausgerichtet. Es nennt konkrete Zahlen (vor allem Einkommen, Geld) und Ziele. Damit hat es Potenzial eine recht breite Wählerschaft anzusprechen. In den Debatten der LINKEN häufig fallende Schlagworte wie Feminismus, Antifaschismus, Antirassismus und das konkrete Benennen von Bewegungen (z.B.Black Lives Matter, Fridays for Future) werden unterlassen. Damit werden Reizwörter im Kurzwahlprogramm vermieden. Ich persönlich finde das richtig und wichtig.

Im Vergleich zum Kurzwahlprogramm von 2017 finden sich etliche Punkte mit anderen Zahlenwerten wieder: Mindestlohn, Mindestsicherung, Renten, Vermögensteuer, Steuerfreibeträge, solidarische Gesundheitsversicherung, Pflegekräfte einstellen (jetzt 200.000 früher 100.000), Sozialwohnungsbau. Die Konzepte wurden fortgeführt und übernommen. Kontinuität ist wichtig.

Was im Kurzwahlprogramm und in der Einleitung zum Wahlprogramm fehlt, ist das Stichwort Europa.  Da sollte nachgebessert werden.

Schreiberling

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